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Die Kirche zu Niederklein von Ortwin Koch

Niederklein hieß zuerst Glene und verdankt seinen Namen dem Bach Glene / Gleen, dessen Teilstück von der Kirschbrücke (Kreisgrenze) bis zur Mündung in die Ohm seit neuerer Zeit "Klein" genannt wird. Der alte Gewässername ist keltischen Ursprungs und bedeutet "reines Wasser".

Über "Niedernglein" und "Nider Glene" geht der heutige Ortsname auf das ursprüngliche Glene zurück. Die Mundart hat in der Bezeichnung "Glee" für Niederklein und "Gleer" für dessen Einwohner den Namen des fränkischen Dorfes Glene über viele Jahrhunderte bis heute bewahrt, wobei sich das "n" im Laufe der Zeit beim Sprechen abgeschliffen hat.

In einem geräumigen Wehrfriedhof, dem größten im Umkreis, sowie auf dem früheren Standort eines erschließbaren königlichen Wirtschaftshofes und späteren Mainzer Oberhofes befindet sich die katholische Niederkleiner Kirche. Sie ist nach der in Amöneburg das am frühesten urkundlich erwähnte Gotteshaus in dieser Gegend. 917 / 918 tauschte der Fuldaer Abt Haicho seinen gesamten Besitz "in Glene, wo eine Kirche geworden ist." gegen die Güter des Laien Gramann in Erbenhausen und Erfurtshausen. Man muss davon ausgehen, dass kurz vor dem Gütertausch anstelle einer älteren Holzkapelle eine steinerne Kirche errichtet worden war. - Vermutlich von diesem Gotteshaus kam im Jahre 1971 bei Umbauarbeiten innerhalb der heutigen Kirche eine über zehn m lange und circa einen Meter breite Grundmauer zutage. Der mit Brandschutt gefüllte Zwischenraum bis zur nördlichen Außenmauer betrug ungefähr 90 cm. Leider war die einst sicherlich vorhandene Apsis, soweit sie sich vor dem ehemaligen Marienaltar befunden hatte, durch eine spätere kleine Gruft für eine Bestattung zerstört.

Höchstwahrscheinlich hat der Grundherr Gramann den in der Gleer Gemarkung ertauschten Besitz zum Unterhalt eines Geistlichen an der gerade fertiggestellten Steinkirche zur Verfügung gestellt. Noch im 19. Jahrhundert brauchte das ca. 20 ha große Niederkleiner Pfarrgut als sogenanntes "Freigut" weder Zehnten noch sonstige Abgaben zu entrichten, was auf ein hohes Alter der Pfarrei schließen lässt.

Die Kirche ist dem Märtyrerbischof Blasius aus Sebaste (Armenien) geweiht. Erst vom Jahre 1736 an wird Elisabeth von Thüringen als zweite Patronin überliefert. Der Niederkleiner Blasiustitel ist wahrscheinlich ein Indiz dafür, dass in vorbonifatianischer Zeit altfränkische Missionare von Trier aus durch das Lahntal, in dessen Einzugsgebiet sie auf dem Blasius-Berg bei Frickhofen zu Ehren des Bischofs von Sebaste eine Kapelle erbauten, bis ins Amöneburger Becken vorgedrungen sind.

Die alte Pfarrei dürfte den früheren Gerichtsbezirk Glene umfasst haben, der im 13. / 14. Jahrhundert von Gibichendorf im Westen bis Burg Waffensand / Wüstung Folkertshain im Herrenwald reichte. So wurde einst auch Schweinberg vom älteren Niederklein aus kirchlich betreut.

Am 7. März 1360 unterstellte der Mainzer Erzbischof die Pfarrkirche zu Glene dem zur Stifts. und Kollegiatskirche erhobenen Amöneburger Gotteshaus. Während des 16. Jahrhunderts war Niederklein vorübergehend protestantisch.

Der verheerenden Brandkatastrophe vom 18. September 1697 fiel auch die Kirche zum Opfer. Schon kurze Zeit später begannen die Planungen zum Wiederaufbau, dessen Durchführung der politischen Gemeinde oblag. Die Pläne stammten von Baumeister Gambach aus Laubach, Hessen. Nach Aussage der Jahreszahlen am Eingangsportal (MDCCII) sowie innen über der ehemaligen Tür zur Sakristei müssen spätestens im Jahre 1702 die Maurerarbeiten unter der Leitung des hiesigen Maurermeisters Adam Amma aufgenommen worden sein. Den Oberbau der Kirche einschließlich des Chores und der Sakristei fertigte der einheimische Zimmermeister Martin Helfenritter. Am 8. Juli 1706 wurde die Kirche mit barocker Innenausstattung vom Mainzer Weihbischof Edmund von Jungenfeld zu Ehren des Bischofs und Märtyrers Blasius eingeweiht. Einige Jahre später erhielt der aus dem 14. Jahrhundert stammende mächtige Wehrkirchturm seine barocke Haube. Mit 36 Metern erreicht er eine stattliche Höhe.

Meister Jakob Stampfer von Amöneburg fertigte 1716 den noch erhaltenen Taufstein.

Nach dem Tode des 82jährigen Pfarrers Johann Peter Greib am 29. November 1877 blieb die Pfarrstelle infolge des Kulturkampfes mehrere Jahre unbesetzt. Erst am 1. Juli 1886 wurde die Pfarrei dem bereits seit über einem Jahr hier tätigen Hilfspfarrer Ludwig Julian Seipel offiziell übertragen. Er ließ das Gotteshaus unter der Leitung des Kasseler Architekten Prof. Hugo Schneider gründlich renovieren. Dabei wurden nach Entfernung der "verzopften" Innenausstattung ein gotisches Gewölbe eingezogen und aus der Werkstatt des Schreiners und Bildhauers Uthmann, Kassel, ein neugotischer Hochaltar sowie zwei Nebenaltäre zu Ehren des heiligen Josefs und der Gottesmutter aufgestellt. Das mittlere, in der Glasmalerei Joseph Machhausen, Koblenz, gefertigte Chorfenster zeigt im unteren Teil die Heiligen Bonifatius und Sturmius. Darüber befindet sich eine Darstellung der Dreifaltigkeit: Gottvater als Greis mit weißem Bart nimmt das Kreuzesopfer seines Sohnes an, wobei der Heilige Geist in Gestalt von Tauben zugegen ist. Die beiden anderen vorderen Chorfenster zeigen Ereignisse der Passion Jesu Christi.

Anstelle der bisherigen zwei Emporen wurde eine neue eingezogen, die über einen angebauten Treppenturm zugänglich war. Die vom Bildhauer Wilhelm Pohl in Aachen geschnitzten 14 Kreuzwegstationen vervollständigten stilvoll die Ausstattung der Kirche, deren feierliche Einweihung schließlich am 19. Juni 1890 durch den Fuldaer Bischof Joseph Weiland erfolgte.

Unter Pfarrer Aloys Rink (1904 - 1917) wurde aus Spenden der Gläubigen die Pieta von der Firma Pohl und Esser, Aachen, gekauft. 1913 / 1914 erhielt der Innenraum durch den bekannten Kirchenmaler Wilhelm Lötters aus Fulda eine farbenfreudige Ausmalung mit ornamentalen Malerein sowie Apostelbildern im Chorraum.

Dechant Richard Möller weihte am Palmsonntag 1950 vier neue, von der politischen Gemeinde gestiftete Glocken zu Ehren der Jungfrau Maria von Fatima, des heiligen Blasius, der heiligen Elisabeth sowie des heiligen Bonifatius. Das Geläute stammt aus der Glockengießerei Otto von Bremen - Hemelingen. Es hat ein Gewicht von 23, 13, 10 und 7 Zentnern und erklingt in den Tönen f, as, b und c.

Anfang der 50er Jahre wurde das Gotteshaus durch den Kirchenmaler Schiffhauer aus Melperts in einem nur einfachen Farbton ausgemalt. Bei den damaligen Renovierungs- und Sanierungsarbeiten sind leider die geschnitzten Aufbauten der Seitenaltäre beträchtlich gekürzt und die Rahmen der Vierzehn Stationen mit den Namen der Stifter abgenommen worden. Von den farbenprächtigen Löttersschen Innenausmalung blieben nur die fünf Kanzelbilder erhalten.

Am 1. Adventssonntag 1971 nahm Weihbischof Prof. Dr. Eduard Schick die feierliche Konsekration der nach den Plänen von Architekt Joachim Mende, Kirchhain, erweiterten und renovierten Kirche vor. Den Altarraum hatte Bildhauer Hubert Hartmann, Wiedenbrück, gestaltet. Kurze Zeit später konnte Domkapitular Pfor. Dr. Ludwig Pralle, Fulda, im Herbst 1973 die von der Firma Bernhard Schmidt, Gelnhausen, erbaute Orgel ihrer Bestimmung übergeben.

Mit der Weihe des 8 x 6,5 Meter großen Altarbildes von der aus Lublin in Polen stammenden und jetzt in Roßdorf bei Darmstadt wohnenden Wanda Stokwisz durch Bischofsvikar Alois Lang am 3. Mai 1998 fand unter Pfarrer Peter Bierschenk eine fast zehnjährige Kirchenrenovierung (Architekt Peter Rügemer, Kassel) ihren gelungenen Abschluss. Sie umfasste u.a. die Restaurierung des alten Altares, den Rückbau der Orgelempore mit Sanierung der Orgel, die Innenausmalung sowie den Einbau eines Beichthäuschens.

[Quellen und weiterführende Literatur: Ortwin Koch, Glene im Lahngau (1997; Stadtallendorf, Geschichte einer jungen Stadt (4). Ortwin Koch, Die Pfarrei Niederklein und ihr Blasiuspatrozinium, in: Festschrift zur Niederkleiner 1200-Jahr-Feier vom 8. bis 17. Juni 2002, S. 59 - 68.]