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29.06.2021

Was bisher geschah - Dr. Jörg Probst ist seit einem Jahr Leiter des DIZ

Studio DIZ, diz-stadtallendorf.de, db-DIZ, Onlinegalerie „dizCo“ – ist das wirklich noch „unser“ DIZ? Was ist eigentlich aus dem alten, vertrauten DIZ Stadtallendorf geworden? So oder ähnlich mag sich mancher gefragt haben angesichts der vielen Veränderungen im DIZ seit dem Wechsel in der Leitung des Zentrums im Sommer 2020, also vor knapp einem Jahr. Fritz Brinkmann-Frisch, der bewährte und der Einrichtung nach wie vor herzlich verbundene erste und bisher einzige Leiter des DIZ, war im Juli überraschend in den Ruhestand gegangen. Als sein Nachfolger übernahm Dr. Jörg Probst die Gedenkstätte, die seit ihrer Eröffnung 1994 in den letzten mehr als 25 Jahren zu einer sehr soliden, im Ensemble ähnlicher Projekte in Hessen angesehenen und von den Schulen, den historischen Vereinen und der Erwachsenenbildung der näheren Umgebung nachgefragten Bildungseinrichtung geworden war. Das DIZ konzentrierte sich dabei – wie die meisten anderen Gedenkstätten auch – stark auf die Arbeit mit Zeitzeug*innen. Frauen wie Eva Pusztai-Fahidi berichteten eindrücklich über die Zeit des NS-Regimes und ihre Leiden als Zwangsarbeiter*innen in den damaligen Sprengstoffwerken der DAG und der WASAG, dem heutigen Siedlungsgebiet von Stadtallendorf. In großem Umfang haben sich diese Zeitzeug*innen-Interviews im Archiv des DIZ erhalten, allerdings nur auf CD-ROM oder Tonbandkassette und bisher ohne Möglichkeit, sie einem größeren Kreis und dezentral zugänglich machen zu können.

Neben diesem unverzichtbaren zeitgeschichtlichen Video- und Audiomaterial hat das DIZ im ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens seit 1994 auch in großem Umfang historische Akten, Fotografien und Bauzeichnungen gesammelt und inventarisiert. Auch dieses überregional relevante Material, in seiner Dichte und Vielseitigkeit besonders geeignet für die erinnernde Erforschung der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik bis Ende der 1960er Jahre, konnte bislang nur vor Ort eingesehen werden. Die Geschichte von Stadtallendorf ist von überregionaler Bedeutung. Doch die Dokumente dieser Stadtgeschichte konnten bis jetzt einer interessierten überregionalen Öffentlichkeit nicht bekannt gemacht werden.

Digitalisierung war und ist daher nicht nur ein Notbehelf in der Arbeit des DIZ dafür, die Gedenkstätte auch unter Corona-Bedingungen arbeitsfähig zu halten. Was in den letzten Monaten an digitalen Projekten am DIZ Stadtallendorf begonnen wurde, ist auch und vor allem eine Würdigung der bisherigen Leistungen und Erträge des DIZ zur Sicherung von dessen Zukunft. Die bereits bestehenden Kontakte, das von den Mitarbeiter*innen des DIZ über Jahre und Jahrzehnte hinweg mit größtem Sachverstand inventarisierte Archiv und die noch immer sehenswerte Dauerausstellung haben jene größere überregionale Aufmerksamkeit verdient, die durch digitale Techniken und Formate zu erreichen ist. Projekte wie das „studio DIZ“ oder die „Online-Galerie dizCo“ mögen zunächst fremd klingen. In Wahrheit aber setzen diese Projekte in einer auch und gerade im Bereich der Gedenkstättenarbeit und der politischen Bildung sich stark wandelnden Welt jene Tradition der engagierten, kritischen politischen Bildung fort, für die das DIZ sich in der Vergangenheit so viel Anerkennung erworben hat. Dauer gibt es nur im Wandel. Für das DIZ wie für alle anderen Gedenkstätten auch besteht diese zukunftssichernde Gewähr der Dauer in der Digitalisierung.

Aus dieser Sicht und mit dieser Absicht der Zukunftssicherung sind alle genannten bereits realisierten und noch zu realisierenden digitalen Projekte des DIZ zu verstehen. Schon die Überarbeitung der Homepage des DIZ ist eine solche Initiative zur Zukunftssicherung. Die Online-Präsenz des DIZ ist gewiss auch nach diesen Modernisierungen noch weiter ausbaufähig. Doch durch die Eingriffe und Erweiterungen ist es gelungen, die Website stärker als vorher zu einer interaktiven Plattform zu machen. Die Website ist nicht mehr nur ein digitales Schaufenster des DIZ, das sich primär durch den Besuch vor Ort in seiner Dauerausstellung definiert und dem Analogen das Digitale wie ein Mittel zum Zweck unterordnet. Vielmehr wurden besondere Formen und Formate in Reaktion darauf gesucht und gefunden, das Kommunikation und Information den digitalen Raum zuweilen gar nicht mehr verlässt. So hat die Homepage jetzt durchgängig quadratische Bilder, sodass bei der Nutzung der Seiten mit dem Smartphone die Bilder so groß wie möglich angezeigt werden können. Außerdem folgt die Optik jetzt einer Art Corporate Design, bestehend aus der Farbe Orange, schwarz-weiß-Rasterungen und frei bewegten Quadraten. Auf diese Weise behält das DIZ bei allen Projekten und auch in dem neu eingerichteten Twitter-Account im Strom der täglichen Neuigkeiten seine Wiedererkennbarkeit.

Interaktiv mittels Website ist das DIZ vor allem durch die Online-Galerie „dizCo“. Natürlich ist der Name ein Wortspiel, doch die irritierende verbale Nähe zur „Discothek“ in der Silbe „Co“ und „dizCo“ erklärt sich eher durch den Begriff der Kooperation, die das DIZ mit Hilfe dieser Onlineausstellungen sucht. Die Schauen sind Features zu Bildern und Dokumenten in der ja nur sehr schwer zu verändernden Dauerausstellung. Jede dieser seit September 2020 eingerichtete und alle drei Monate wechselnden Online-Ausstellungen widmen sich einem Thema, zu dem es in der Dauerausstellung und im Archiv des DIZ hervorhebenswertes Material gibt und das dazu geeignet ist, auch überregional für die Geschichte von Stadtallendorf zu interessieren. Blicke auf Frauenarbeit in Stadtallendorf oder Freizeitarchitektur der Wirtschaftswunder-Zeit in Stadtallendorf lassen Betrachter von außerhalb sicher die Frage danach stellen, wie es damit im eigenen Lebensumfeld an dem jeweils eigenen Wohnort bestellt ist. Was kann man über die Bundesrepublik lernen, wenn man Stadtallendorf erforscht? – Diese Frage ermöglicht zahlreiche Themen und Projekte vor allem aus der Perspektive auf den Strukturwandel und die Konversion von Stadtallendorf als  Rüstungsaltstandort. Dieser Schwerpunkt „Strukturwandel und Konversion“ – er ist auch Gegenstand des im September 2020 vorgelegten Entwicklungsplans des DIZ – lässt die Entwicklung von Stadtallendorf als Industriegemeinde in ihrer überregionalen Bedeutung voll und ganz hervortreten. Überregional sichtbare und auch ohne Reise nach Stadtallendorf zu besichtigende Online-Ausstellungen können dafür mit vergleichsweise geringem Aufwand und besonders breitenwirksam sensibilisieren.

Interaktiv sind diese Online-Ausstellungen auf der Homepage des DIZ auch dadurch, dass diese Ausstellungen als Paket konzipiert sind. „dizCo“ heißt also „dizCo“ auch deshalb, weil diese Online-Ausstellungen unterschiedliche Faktoren miteinander ko-mbinieren. Die digitale Veröffentlichung wird begleitet von so genannten „dizCo-Tickets“, d.h. Bildpostkarten mit einem QR-Code auf der Rückseite. Die Drucke können verschickt und verschenkt und auf diese Weise mit einem Scan des QR-Code-Quadrat auf dem Ticket mittels Smartphone die Online-Ausstellung auf der Homepage aktiviert werden. Dieses Ticket wird auch als Teaser in der neuen beleuchteten Vitrine vor dem DIZ aufgestellt. Außerdem gibt es im Schaukasten an der Bushaltestelle neben dem DIZ jeweils ein großes Plakat, das ebenfalls durch einen QR-Code zu einem digitalen Besuch der nur online zu sehenden Ausstellung und damit zu einem Klick auf unsere Website einlädt.

Vorträge und Workshops gehören ebenfalls zu diesen Online-Ausstellungen „dizCo“ als Paket. Ab November 2020 hat sich dieses Angebot zu einem weiteren gesondert zu entwickelnden Online-Angebot des DIZ entwickelt – das Format „studio DIZ“. In einem Studio-ähnlichen Arrangement, dass die allseits bekannte leidige Homeoffice-Videokonferenz zu einer Art digitaler Fernsehsendung aufwertet, werden mindestens einmal im Monat „Sendeformate“ geboten, die sich mit der politischen Geschichte und Gegenwart befassen. Im Mittelpunkt stehen dabei Themen über Strukturwandel und Konversion, d.h. eine sehr große Bandbreite von Phänomenen und Vorgängen im Zusammenhang des Gestaltens, Erlebens und Erinnerns kultureller und politischer Veränderung. Strukturwandel wird zum Erinnerungsort. Das Format „SprechZeit“, eine Art öffentliche Diskussion mit Expert*innen, hat sich dabei als besonders tragfähiges Konzept erwiesen. Nicht weniger ausbaufähig ist das Format „Sammlungsgeschichte(n)“, das langfristig für Archive und Sammlungen auch in anderen Städten und Gemeinden werden könnte, ihre bislang nur im Depot schlummernden Schätze öffentlich in einer Online-Diskussion zu präsentieren. Für die Zukunft angedacht sind die Formate „SchulClub“ als Treffpunkt von Schüler*innen zu Online-Gesprächen mit Zeitzeug*innen, aber auch mit Politiker*innen oder mit Prominenten und eine Kooperation mit Verlagen und Redaktionen für Online-Lesungen mit dem Namen „LeseZeichen“.

Zukunftssicherung bedeutet Dauer durch Wandel. In diesem Sinne kann Digitalisierung auch dabei helfen, die Erschließung des Stadtallendorfer Geländes für die Gedenkstättenarbeit im DIZ neu zu denken. Eine dieser Zukunftsperspektiven ist eine Bilddatenbank, mit deren Hilfe wir die schon erwähnten Zeitzeug*innen-Videos sowie die zahlreichen Fotos und Bauzeichnungen zur Entwicklung von Stadtallendorf dezentral zugänglich machen werden. Die Bilddatenbank lässt auch eine überregionale, vielleicht internationale Kooperation zu, in der andere Rüstungsaltstandorten die Möglichkeit zum Upload ihrer Bilder in die Bilddatenbank erhalten. Außerdem möchte das DIZ im Rahmen von Historischen Informationsrouten im städtischen Raum gerne digitale Informationssäulen aufstellen. Etwa die Niederkleiner Straße bis hin zum ehemaligen Gelände von „Kammgarn-Richter“ könnte so zu einer Art „Historischer Meile“ werden. Auf diese Weise schließt das DIZ am Aufbauplatz mit dem Gelände des ehemaligen Sprengstoffwerkes der DAG vor 1945 und mit den zahlreichen, der Niederkleiner Straße so deutlich abzulesenden Etappen der Stadtgeschichte nach 1945 auf zu einer „Erinnerungslandschaft“. Gehostet werden diese Informationssäulen durch die Homepage des DIZ.

Quelle: Stadt Stadtallendorf